Es gibt bereits im Internet (insbesondere aus den 1970er Jahren) eine erkleckliche Anzahl von Autoren, die das „Wesen“ der Science Fiction Literatur zu bestimmen versuchen. Meist mit harten Abgrenzungen zu dem was nicht „Science Fiction“ sei (bzw was gute und was schlechte Science Fiction ausmache). Vielleicht macht es mehr Sinn, die Beziehungen zwischen Populär- und Technikkulturen zu erläutern.
Was ist Popuärkultur- wann beginnt sie? Auch wenn einige Forscher den Beginn der Massen- kultur früher einsetzen lassen wollen, spricht doch viel dafür ihren Beginn im England der Frühindustrialisierung ab 1760 zu suchen. Der Wirtschaftshistoriker Akos Paulinyi bezeichnet den Zeitraum von 1760 bis 1850 als eine Periode, in der erstmals in Großbritannien der Übergang zur maschinellen Fertigung von Gütern vollzogen wurde. In dem europäischen Land mit der zuerst einsetzenden Industrialisierung entwickelte sich bald ein Bedürfnis nach neuen Unterhaltungsformen.
Sicher gab es auch schon so lange Nachrichten aufgezeichnet werden populäre Unterhaltungsformen, doch die massenhafte Produktion geschah erst im Zuge der Industrialisierung. Das wesentliche Element der Populärkultur oder Massenkultur ist die Gewinnerzielungsabsicht als Massenprodukt.Dies führte dazu, dass die Rezipienten stärker als es zuvor in der Geschichte möglich gewesen war, in die Kulturproduktion eingreifen konnten. Zwar mußten Künstler auch in früheren Jahren leben, also Gewinn erzielen, doch gab es nicht die massenhafte Herstellung, Verbreitung und quasi abnutzungsfreie Wiederholbarkeit der Kulturproduktion.
Populärkultur heißt: etwas wird in Massen hergestellt, produziert und verkauft. Natürlich beeinflußt diese Herstellungsform auch den Inhalt, dass dieser auf eine Massenverkäuflichkeit getrimmt wird. Doch stärker wirken Kriterien wie die der Aktualität und Zeitbezogenheit.Wie kein anderes Medium eignete sich die Popul¨arkultur dazu die durch die Umw¨alzung der industriellen Revolution geschaffenen Produkte in die Gesellschaftsordnung einzubinden. Als Beispiel sei der Roman Der Tunnel von Bernhard Kellermann genannt.
Dieser Roman, der beschrieb wie Menschen jahrzehntelang das wahnsinnige Projekt eines Tunnels unter den Meeren von England nach Amerika planten und durchführten, geriet zu einem großen Verkaufserfolg. Im April 1913 bei Samuel Fischer erschienen, waren nach einem halben Jahr schon 100.000 Exemplare verkauft: das Buch wurde zum ersten Bestseller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Buch erschien allein bis 1943 in 373 Druckauflagen. Im Zentrum des Romanes steht der heldenhafte Ingenieur Mac Allen, dem als eine Art Odysseus der modernen Technik nach 26 Jahren die Untertunnelung des Atlantiks gelingt. Nach 26 Jahren und 9000 ums Leben gekommenen Tunnelarbeitern wird der Tunnel für eine Hochgeschwindigkeitszugtrecke von Frankreich nach New York er¨offnet.
In diesem heute in vielen Internetspezialforen gefeierten “Sci-Fi” Roman, gelingt Bernhard Kellermann die Verbindung von Technikutopie und modernen Kapitalismus umso passender als das das Buch selbst zu einem wirtschaftlichen Erfolg geriet.
Manchmal wird behauptet, dass Technikutopien in den Populärkulturen das Publikum auf Dinge vorbereiten, die diese Dinge sonst nicht verstünde. Die Populärkulturen werden hier als Vermittler, als Ubersetzer komplexer Sachverhalter gesehen. Dies besonders in Fällen, in denen ein hoher Abstraktionsgrad das unmittelbare Verstehen verhindere. (so z.B die Form der Radioaktivität). Doch daran glaube ich nicht. Dies ist sicher zu einfach. Es ist schwierig die Begriffe „Populärkulturen“ und „Technikkulturen“ getrennt zu betrachten. Es gibt keine Trennungen zwischen den Darstellungen der Populärkultur und den technischen Prozessen. Ferner findet sich “Science” auch schon in ¨alteren Formen der Literatur wieder, so dass die Einteilung ab wann man von Science Fiction sprechen kann, nicht genau festlegbar ist.
Die schwer festlegbaren Grenzen zsischen Populär und Technikkulturen zeigt sich auch darin, dass die Technikkulturen auch auf die in den Romanen dargestellten Argumentationsmuster zurückgreifen. Denn technische Innovationen sind nie aus sich selbst heraus sinnvoll. Erst der Umweg über die symbolische Repräsentation in Populärkulturen trägt zur Durchsetzung in der Gesellschaft bei. Aus den Regeln der Gattung reflektieren Sci-Fi Romane den Technikstand ihrer Zeit (und gehen manchmal darüber hinaus). Denn gegen eine Regel dürfen Science-Fiction Romane nie verstoßen: das was durch wissenschaftliche Experimente ausgeschlossen werden kann darf in einem Zukunftsroman nicht mehr beschrieben werden. Der Sci-Fi Roman muss nicht nur auf der Höhe der technischen Zeit sein um ernstgenommen zu werden, er muss ihr sogar vorausgehen.
NACHTRAG: Ab dem Jahre 2017 soll mit dem Bau eines Tunnels unter dem Meer zwischen Sibirien und Alaska begonnen werden. Immerhin- mehr als 100 Jahre nach dem Erscheinen von Bernhard Kellermanns Roman „Der Tunnel“ wird sich der Traum einer Zugverbindung zwischen Europa (bzw Eurasien) und dem amerikanischen Kontinent erfüllen. Tja, in dreißig Jahren soll es angeblich möglich sein…
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1
Akos Paulinyi: Die Industrielle Revolution: Die Entstehung des Fabriksystems in Grossbritannien. In: Helmuth Schneider (Hrsg.) Geschichte der Arbeit. Vom alten Ägypten bis zur Gegenwart, Wien 1983, Seite 193.
2
nicht weiter eingegangen wird auf die Geschichte der Bezeichnung der Kulturindustrie im Zuge von Horckheimer, Adorno: Dialektik der Aufkl¨arung, Frankfurt 1947. Dazu: Helmut Seidel: Aufklärung und die Gegenwart. Zur Kritik der Dialektikder Aufklärung von Adorno und Horckheimer. In: UTOPIE kreativ. H109/110 November, Dezember 1999, S. 101-110.
3
vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1968.
4
Bernhard Kellermann: der Tunnel, Berlin 1916
5
Bernhard Kellermann, Berlin 1913, Seite 394.
6
Der Roman selbst wird sehr unterschiedlich bewertet. Auf die literaturwissenschaftliche Einordnung sowie die historische Einordnung in den Kontext der Situation vor dem ersten Weltkrieg wird im Rahmen dieser Einleitung verzichtet. Harro Segeberg: Literarische Technik-Bilder. Studien zum Verh¨altnis von Technik- und Literaturgeschichte im 19 und frühen 20. Jahrhundert. Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur (Band 17), Tübingen 1987, Seite 179. Harro Segeberg bezeichnet den Schriftsteller Bernhard Kellermann in einem Kapitel seines Buches Literarische Technik-Bilder als Popularautoren.
7
Vgl. Volker Dehs; Ralf Junkerjürgen: Jules Verne. Stimmen und Deutungen zu seinem Werk, Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar (Band 75), Wetzlar 2005. Leopold Federmair bezeichnet ihn als Technop¨adagogen. Vgl. Federmair, Leopold: Entzaubern-Verzaubern. Zu den außergewöhnlichen Reisen Jules Vernes In: Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Ausstellungskatalog, hrsg, Brigitte Flederer, Wien 1996, Seiten 236-249.
8
Michael Jung: Das Handbuch zur Tauchgeschichte, Stuttgart 1999, Seite 216. Hier seinen nur zwei (franz¨osische der zahlreichen technischen Erfindungen genannt. Zur Drucklegung des Verne‘s Romanes 1869 gab es schon seit 1837 den Skaphander, einen geschlossenen Tauchanzug aus wasserdichtem Segeltuch. Siehe Hanns-Wolf Rackl: Der Mensch taucht,Seite 308